Gymnasium 112 (2005)
M. Breitbach: Der Prozess des Sokrates - Verteidigung der oder Anschlag auf die athenische Demokratie? Ein Beitrag aus rechtswissenschaftlicher Perspektive

Die Erinnerung an den Prozess des Sokrates 399 v. Chr. schuf zwei Angeklagte: Sokrates, der sich vor seinen athenischen Richtern zu verantworten hatte und das athenische Gericht, das sich für seinen Spruch vor der Weltgeschichte zu verantworten hat. Eine rechtswissenschaftliche Analyse legt nahe, dass die athenischen Richter kaum ein rechtlicher Vorwurf für ihr Urteil trifft. Die beiden Anklagen wegen Gottesfrevel und Verführung der Jugend lassen sich aus einer modernen Perspektive des verfassungsrechtlich begründeten Demokratieschutzes interpretieren, wonach die Richter das öffentliche Wirken des Sokrates als reale Gefährdung für die religiös fundierte demokratische Verfassungsordnung ansahen. Sokrates provozierte nicht nur seinen Schuldspruch. Durch seine Weigerung, keinen oder jedenfalls keinen ernst gemeinten Antrag zu stellen, blieb den Richtern nur die Möglichkeit, dem Antrag der Ankläger zu folgen. Dennoch, Sokrates' Tod steht als Erinnerungsort: Für die Freiheit der Philosophie, des radikalen Denkens und Fragens, für Sokrates als den Begründer der neuzeitlichen Philosophie - und damit auch für die Anfechtbarkeit des Prinzips streitbarer Demokratie?
zurück zum Inhaltsverzeichnis