Die Darstellung einer bäuerlichen Alltagsszene im
pseudo-vergilischen Moretum wurde in der Forschung vielfach als
realistische Schilderung des Landlebens gesehen, die sich mit den
traditionellen poetischen Bildern des Landes, insbesondere den
Werken Vergils, kritisch auseinandersetze. Demgegenüber versucht der
Vf. zu zeigen, dass es sich beim Moretum um eine literarische
Konstruktion handelt, die zentrale Elemente der Tradition poetischer
Imagination des Landlebens adaptiert und so für das städtische
Publikum Ansatzpunkte zu positiver Evaluation liefert. Die
vielschichtige Ambivalenz des Textes und das grundsätzlich
veränderte Umfeld zur Entstehungszeit des Gedichts im 1. Jh. n.
Chr., in der das Thema "Land" seine politische Bedeutung der
augusteischen Zeit weitestgehend verloren hatte, sprechen gegen eine
antivergilische Tendenz. Der Dichter des Moretum variiert
ein "altes" Thema und sucht die Auseinandersetzung mit Vergil
allenfalls auf künstlerischem Gebiet.
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