Gymnasium 108 (2001)
Franz Strunz: Wie untreu war die Witwe von Ephesus?

Die ethische Beurteilung der Witwe von Ephesus in Petrons "Satyrica" ist, mangels eindeutiger Vorgaben durch den Autor, recht unterschiedlich ausgefallen. Viele tadeln sie schon in der Antike wegen ihrer baldigen Aufgabe der Trauer um ihren Gatten, ihrer Hingabe an einen fremden noch im Grabmal und ganz besonders wegen der Auslieferung seines Leichnams, der anstatt eines geraubten Hingerichteten ans Kreuz gehängt wird. So sehr der Erzählduktus an das Genre "Milesische Geschichten" angepaßt ist, ergibt sich bei näherer Betrachtung der Matrone weniger eine gattungsübliche zynische Verhaltensweise der Heldin, als vielmehr eine realitätsangemessene Anpassung ihrer Haltung an von außen auferlegte Umstände. Zwischen Tod und Aufgabe eines Ideals wählt die Witwe das letztere und überläßt sich (offenbar mit wohlwollender Billigung Petrons) einer lebenszuträglichen inneren Entwicklung.
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