Gymnasium 112 (2005)
F. Wittchow: Vater und Onkel: Julius Caesar und das Finale der Aeneis

Es wird allgemein angenommen, dass Julius Caesar nicht als Bezugspunkt für die Gestaltung des vergilischen Aeneas in Frage kommt. Die imago des Diktators sei in augusteischer Zeit negativ konnotiert gewesen und totgeschwiegen worden, ferner sei es der princeps selbst, der in Aeneas verherrlicht werde. Doch sowohl die These vom Diktator als persona non grata als auch die Vereindeutigung des epischen Haupthelden durch Vergil ist von der Forschung in letzter Zeit immer mehr in Frage gestellt worden. Es wird daher in der vorliegenden Untersuchung methodisch nicht mehr von einer Typologie ausgegangen, sondern der aus dem new historicism stammende Begriff der 'Verhandlung' (Greenblatt) als Instrument der Interpretation erprobt. Am 12. Buch der Aeneis wird aufgezeigt, dass mit bestimmten Handlungssequenzen, in denen Aeneas als Hauptagent auftritt, die Ermordung Caesars verhandelt wird. Sie wird nicht identisch abgebildet, sondern episch reinszeniert, einerseits um ihr eine Funktion innerhalb der epischen Handlung zu geben, andererseits um eine historische Erfahrung neu zu kontextualisieren. In diesem Falle ist der neue Kontext die "erste Krise des Prinzipats" (Kienast), als Augustus zum ersten Male mit der Nachfolgefrage konfrontiert wird.
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