Es wird allgemein angenommen, dass Julius Caesar nicht als
Bezugspunkt für die Gestaltung des vergilischen Aeneas in Frage
kommt. Die imago des Diktators sei in augusteischer Zeit negativ
konnotiert gewesen und totgeschwiegen worden, ferner sei es der
princeps selbst, der in Aeneas verherrlicht werde. Doch sowohl die
These vom Diktator als persona non grata als auch die
Vereindeutigung des epischen Haupthelden durch Vergil ist von der
Forschung in letzter Zeit immer mehr in Frage gestellt worden. Es
wird daher in der vorliegenden Untersuchung methodisch nicht mehr
von einer Typologie ausgegangen, sondern der aus dem new historicism
stammende Begriff der 'Verhandlung' (Greenblatt) als Instrument der
Interpretation erprobt. Am 12. Buch der Aeneis wird aufgezeigt, dass
mit bestimmten Handlungssequenzen, in denen Aeneas als Hauptagent
auftritt, die Ermordung Caesars verhandelt wird. Sie wird nicht
identisch abgebildet, sondern episch reinszeniert, einerseits um ihr
eine Funktion innerhalb der epischen Handlung zu geben, andererseits
um eine historische Erfahrung neu zu kontextualisieren. In diesem
Falle ist der neue Kontext die "erste Krise des Prinzipats"
(Kienast), als Augustus zum ersten Male mit der Nachfolgefrage
konfrontiert wird.
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