1-21  Gyburg Radke:
Die Krise des Romans im 20. Jahrhundert und das antike Epos. Adorno, Döblin und die Formen epischen Dichtens in der Antike

Die Krise des bürgerlichen Romans führt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einer Renaissance epischen Dichtens. Vorreiter dieser Bewegung in Deutschland sind Theodor Adorno, Walter Benjamin und Alfred Döblin. Der Aufsatz geht den Spuren dieser neuen Epostheorie nach und konfrontiert ihre Prämissen und Deutungsschemata mit philologischen Interpretationen der Erzählstrategien des homerischen Epos einerseits und des hellenistischen Epos andererseits. Wie im zweiten Teil des Aufsatzes gezeigt wird, stehen die Theoretiker der Eposrenaissance in der Tradition der klassischen und romantischen Epostheorie. Schon diese projiziert den Gegensatz zwischen (vorgeblich) naiver Antike und reflektierter Moderne in die Opposition von antikem Epos und bürgerlichem Innerlichkeitsroman. Die Präsenz dieser klassisch modernen Gattungstheorie noch im 20. Jahrhundert belegt die longue durée der Antithese von Antike und Moderne und beweist die Notwendigkeit für einen Dialog zwischen Klassischer Philologie und moderner Literaturtheorie.


23-46  Ulrich Schmitzer:
Transformierte Transformation. Eine Fallstudie zu Erzähltechnik und Rezeption der Metamorphosen Ovids anhand der Actaeon-Sage

Ovids Erzählungen verwandeln sich im Laufe ihrer Rezeption. Sie werden transformiert und in ihrer neuen Gestalt zum Ausgangspunkt von weiteren Rezeptionen. Diesem Prozess, bei dem v. a. die nachantiken Kommentierungen eine wichtige Rolle spielen, wird anhand der Leda-Sage (mit Blick auf Correggios Bild "Leda und der Schwan") und der Actaeon-Sage der Metamorphosen (v.a. mit Blick auf den Freskenzyklus des Parmigianino in Fontanellato) nachgegangen.


47-67  Siegmar Döpp:
Klassik in lateinischer Literatur. Antike Ansätze zur Konstituierung der Epoche

Ob man für die lateinische Literatur eine klassische Epoche ansetzen kann, ist unter den modernen Literarhistorikern umstritten. Umstritten ist auch, wie gegebenenfalls die zeitlichen Grenzen verlaufen, vor allem aber, ob man außer der Augustus-Zeit auch die Spätphase der Republik (ca. 80-43 v. Chr.) einzubeziehen hat. Der vorliegende Aufsatz möchte zur Erörterung dieser Frage beitragen, indem er untersucht, wie antike Autoren des ersten Jahrhunderts v. Chr. und namentlich solche des ersten nachchristlichen Jahrhunderts die Literatur jener Phase eingeschätzt haben. Es ergibt sich, dass sich entgegen einer verbreiteten Auffassung bereits im Altertum Ansätze dazu finden, die Literatur der Jahrzehnte von etwa 80 v. Chr. bis 14 n. Chr. insgesamt als klassische Epoche zu charakterisieren.


69-86  Henning Börm:
Die Herrschaft des Kaisers Maximinus Thrax und das Sechskaiserjahr 238. Der Beginn der "Reichskrise"?

Die Herrschaft des römischen Kaisers Maximinus Thrax gilt traditionell als ein Einschnitt innerhalb der Prinzipatsgeschichte, der princeps selbst als erster Vertreter des neuen Herrschertyps der "Soldatenkaiser". Doch ein genauerer Blick auf die Ereignisse um 238 weckt Zweifel an dieser Sichtweise: In fast allen wesentlichen Bereichen stand Maximinus, den man zudem kaum als "typischen Soldatenkaiser" bezeichnen kann, noch klar in severischer Tradition; und auch wenn die Probleme des Imperiums insgesamt zunahmen, kann man erst später - wenn überhaupt - von einer allgemeinen "Reichskrise" sprechen. Das "Sechskaiserjahr" war das Resultat einer Reihe von unvorhergesehenen Ereignissen; anders als 69 oder 193 handelte es sich nicht um einen Bürgerkrieg zwischen unabhängig agierenden Prätendenten. Daher lässt sich erst mit dem Zusammenbruch des Kaisertums severischen Typs seit etwa 250 eine sinnvolle Zäsur ansetzen.


103-122  Alfred Dunshirn:
In welcher Reihenfolge die Dialoge Platons lesen?

Seit mehr als zwei Jahrhunderten werden die Dialoge Platons meist in der Reihenfolge ihrer vermutlichen Entstehungszeit dargestellt, wobei die Anordnung der Werke Platons in Vierergruppen, die sich in der handschriftlichen Überlieferung findet, nur selten beachtet wird. Wir wollen diese antike Tetralogieneinteilung einer Betrachtung unterziehen, weil man vermuten darf, dass sie aus pädagogischen Erwägungen heraus entstanden ist, und man überlegen kann, ob für eine heutige Lektüre der Dialoge Platons diese Reihung brauchbar ist. Als Grundlage für solche Überlegungen wird neben einigen Erläuterungen zur Tetralogieneinteilung ein Überblick über die Dialoge in der tradierten Anordnung gegeben, der nicht nur einige Zusammenhänge zwischen den Dialogen aufzeigt, sondern auch auf Stellen hinweist, die besonders im Kontext der Tetralogien den Leser zum Fortschreiten im Philosophieren ermuntern können.


123-140  Hans Peter Syndikus:
Properz über seine Dichtung

Der Aufsatz untersucht die Selbstaussagen des Properz über seine Dichtung. Vom 1. Buch an setzt er seine Elegiendichtung von der in hohem Stil geschriebenen Ependichtung ab, die in Rom seit Naevius und Ennius als die vornehmste Form der Poesie galt und von politischer Seite her sehr erwünscht war. Im 1. Buch steht im Mittelpunkt, dass der weiche Elegienstil für sein Liebesthema geeigneter sei. Im 2. Buch tritt durch die Berufung auf die vorbildliche alexandrinische Dichtung in der Art des Kallimachos auch die ästhetische Seite in den Vordergrund. Die Elegiendichtung erscheint gegenüber dem herkömmlichen Epos als die modernere, künstlerisch anspruchsvollere Form. Die Eingangsgedichte des 3. Buches zeigen neben der Fortführung der ästhetischen Thematik die entschiedene Wahl einer Lebensform: Der Liebesdichter zieht ein schlichtes, friedliches Leben dem Streben nach Reichtum und kriegerischen Eroberungen vor. Im 4. Buch bleiben trotz der thematischen Erweiterung die ästhetischen Maßstäbe bestehen. Properz betrachtet sich weiterhin als Dichter in der Weise des Kallimachos.


141-168  Krešimir Matijević:
Beobachtungen zur Gründung von Lugudunum/Lyon

Der Beitrag legt dar, dass nach wie vor unklar ist, ob die aus Vienna/Vienne vertriebenen Siedler römisches oder italisches Bürgerrecht hatten. Auszuschließen ist, dass diesen Siedlern, die sich bei Lugudunum/Lyon niedergelassen hatten, schon im Jahre 43 v. Chr. Veteranen hinzugefügt worden sind. Ferner kann die Gründung von Lugudunum/Lyon nicht auf den Tag genau datiert werden. Allein das Zeugnis des Cassius Dio gibt einen ungefähren chronologischen Hinweis. Der Quinarius des Antonius mit der Legende LVGVDVNI und der Angabe seines Alters wurde wahrscheinlich vor der Koloniegründung von Lepidus im Auftrag des Antonius geprägt. Das Geld diente der Aushebung von Truppen in Gallien.


169-183  Klaus Bringmann:
Kaiser Augustus. Grenzen und Möglichkeiten einer Biographie


209-237  Glenn W. Most:
"Das Kind ist Vater des Mannes": Von Rushdie zu Homer und zurück


237-250  Klaus-Peter Johne:
"Schon ist die Elbe näher als der Rhein". Zur Diskussion um die Elbgrenze des Imperium Romanum


251-281  Lohar Spahlinger:
Künstleranekdoten bei Phaedrus. Zum Selbstverständnis des kaiserzeitlichen Fabeldichters

Die Diskrepanz zwischen der Bedeutung des kaiserzeitlichen Fabeldichters Phaedrus als Einstiegsautor im schulischen Lektürekanon und seiner geringen wissenschaftlichen Wahrnehmung, die Konzentration auf die Fabeln äsopischer Tradition ungeachtet des Bewusstseins dafür, dass in diesem Fabel-corpus eine große Zahl hiervon abweichender Textformen und Inhalte versammelt ist, lässt den Versuch eines Neuzugangs sinnvoll erscheinen. Daher wird eine Gruppe von Künstler-Anekdoten (4,23 und 26; 5,1 und 5,7) auf ihre poetologische Relevanz hin untersucht: Es zeigt sich, dass Phaedrus nicht nur die Prologe und Epiloge seiner Bücher zu poetologischen Selbstaussagen nutzt, sondern auch in diesen "Künstler-Fabeln" Stellung und Rang eines Literaten in seinem gesellschaftlichen Umfeld zu fassen sucht und damit eigene Ansprüche formuliert.


309-330  H.-P. Stahl:
Göttliches Wirken und empirische Psychologie: Vergils karthagische Königin

Die Frage, wie weit Vergil in seinem Epos den Gegenspielern des Aeneas (Dido, Turnus) moralische Verantwortung zuspricht, ist eng verknüpft mit der Frage nach ihrer eigenen Entscheidungsfreiheit. Wenn sie unter Fremdeinfluss (Jupiter und Venus in Buch 1, die Furie Allecto in Buch 7) stehen, mag beider Verhalten, wenigstens zum Teil, entschuldbar erscheinen. Der allererste Fall schon (in Buch 1 entsendet Jupiter Merkur, damit er Dido gütig stimme gegenüber den schiffbrüchigen Trojanern) ist richtungsweisend. Didos Gastlichkeit entspringt einem empirisch nachgewiesenen, als nahtlos beschriebenen, psychologischen Prozess (u.a. einer seit Jahren schon bestehenden Bewunderung für Troja und Aeneas), zu welchem Jupiter (bzw. Merkur) nichts beiträgt. Die dichterische Absicht solcher Zweigleisigkeit kann am Ende erklärt werden.


331-345  C. Schindler:
Claudians "pagane" Götter. Tradition und Innovation in der spätantiken Panegyrik


347-359  M. Perkams:
Augustinus' Auseinandersetzung mit der stoischen Schicksalslehre in De civitate Dei 5

Im fünften Buch von De civitate Dei behauptet Augustinus, die christliche und die stoische Schicksalslehre seien gut miteinander vereinbar. Der Streit zwischen Christen und Stoikern geht für ihn lediglich darum, ob die innerweltlichen Ursachen als Ausdruck von abhängiger, aber doch realer Freiheit oder als zwanghafter Zusammenhang angesehen werden. Eine solche Übereinstimmung mit den Stoikern kann Augustinus aber nur feststellen, weil er deren Position von vornherein christlich deutet. In dem Moment, wo er die stoische Perspektive akzeptiert, hat er ihre ursprüngliche Idee einer kausalen Verbundenheit der materiellen Welt bereits zugunsten einer Dependenz dieser Welt von einem transzendenten Gott aufgegeben.


361-365  Karl-Wilhelm Welwei
Neue Bücher zu den gentes und tribus im frühen Rom


409-434  Chr. Schäfer:
Manische Distanzierung. Über Platons programmatische Umdeutung des Philosophiebegriffs

Platons Dialoge charakterisiert eine methodische Vermeidung von Fachterminologie. Das Unterminologische hat bei ihm einen systematischen Sinnhintergrund, der sich aus dem Gebrauch und der Kritik überkommener Begrifflichkeit in den Dialogtexten gut sichtbar machen lässt. Dabei sind in Platons Schriften klare 'Strategien' des Umgangs mit Begrifflichem zu erkennen: Hierzu gehört auch Platons Kritik und Umdeutung des Philosophie-Begriffs, deren Nachvollzug und Wirkungsgeschichte der Aufsatz anhand ihrer Bestimmungskoordinaten darstellen möchte: des manisch-erotischen Gepacktseins des Philosophen und seiner gleichzeitigen reflexiven Distanzierung davon.


435-451  O. Knorr:
Theatralisches Spektakel und Metatheater in der Andria und der Hecyra des Terenz

Die Kochparade zu Beginn der Andria und der einleitende Einzug der Hetären in der Hecyra, die von Tanz und Musik begleitet waren, sind bisher übersehene Beispiele für das große, aber häufig unterschätzte Talent des Terenz für theatralisches Spektakel und metatheatralische Komik. Beide Paraden spielen auf komische Weise mit den Konventionen der Komödie und machen sich implizit über sie lustig. Ähnliches gilt von dem völlig übertriebenen 'happy ending' der Andria und Philumenas lauten Schmerzensschreien in der Hecyra.


453-467  J. Gruber:
Tacitus und der Ort der Varus-Schlacht. Vom Zeugniswert der literarischen Quellen

In der viel diskutierten Frage, ob denn Kalkriese der Ort der Clades Variana sei, wurden auch die Nachrichten der antiken Historiker wiederholt als Argumente pro und contra herangezogen. Der Beitrag versucht zu zeigen, dass keiner der einschlägigen Texte (Velleius Paterculus, Cassius Dio, Florus) einen aussagekräftigen Hinweis bietet. Auch die scheinbar präziseren Aussagen des Tacitus machen verschiedene Interpretationen möglich. Allerdings läßt sich aus seinem Bericht über den Feldzug des Jahres 15 n. Chr. weder herauslesen, daß Germanicus mit einem Teil des Heeres zur Emsmündung fuhr, noch wo er sich mit den Truppen Caecinas an der Ems vereinigte. Auch der weitere Vormarsch von dort zum Ort der Varus- Schlacht muß nicht, wie ein Großteil der althistorischen Forschung annimmt, in den "Ems-Lippe-Winkel" südwestlich des Teutoburger Waldes geführt haben. Als Ergebnis einer Überprüfung des Tacitus- Textes ergibt sich, daß er zwar nicht einer Lokalisierung der Schlacht in Kalkriese widerspricht, aber auch keine eindeutigen Aussagen zugunsten einer solchen Annahme macht. Die Frage ist daher mit philologischen Mitteln nicht zu entscheiden.


469-479  S. Link:
Aristoteles, Ephoros und die "Kretische Verfassung"


481-483  Chr. Reitz/L. Winkler-Horacek:
Liebe auf Tapeten. Bericht zu einem Projekt der Antikenrezeption


519-534  N. Holzberg:
Der "Barbar" - auch ein Mitmensch? Horaz und die Randvölker des Imperium Romanum


535-571  W. Stroh:
De origine uocum humanitatis et humanismi


573-586  K. Ruffing:
Heiligtum und Staat in der römischen Kaiserzeit - ein Vegleich zwischen Asia Minor und Ägypten


587-593  J. Wildberger:
Vier Seneca-Kommentare