1-28  M. Janka:
Der Leidensleib im Schauspiel der griechischen Tragödie. Zur intertextuellen, performativen und kommunikativen Zeichenhaftigkeit des sterbenden und toten Körpers in der attischen Tragödie

Gemäß verbreitetem klassizistischem Vorurteil werden in der attischen Tragödie Sterben und Tod aus dem mimetischen Raum verbannt und stattdessen auf weniger unmittelbare Weise vergegenwärtigt, insbesondere durch Boten- oder Chorerzählung. Der vorliegende Aufsatz betont demgegenüber die dramaturgische Wirksamkeit des sterbenden und toten Körpers als "Schaustück" und "Erkenntnisobjekt" im mimetischen und reflektorischen Raum der attischen Tragödie. Anhand einer intertextuellen Motivanalyse in Verbindung mit einer performanzorientierten Entschlüsselung der rezeptionssteuernden Textsignale werden einschlägige Passagen aus den Tragödien der "Großen Drei" vergleichend untersucht. Argumentationsziel ist u.a. die Entwicklung einer Typologie, die neues Licht auf die Eigenart der jeweiligen dramaturgischen Gestaltung bei Aischylos, Sophokles und Euripides zu werfen vermag.


29-55  K. Jessen-Klingenberg:
Partes in bella togatae. Die Präsenz des römischen Senats in Lucans Bellum civile.

Lucan spaltet in seinem Bellum civile den Senat von Rom in zwei Teilsenate, wobei die erste Gruppe der patres sich dem Aggressor Caesar unterwirft und die andere sich an die Spitze der Gegenseite stellt. In der Frage, welche der beiden curiae den legitimen römischen Senat repräsentiert, liegen die Sympathien des Erzählers eindeutig bei dem Teil der Senatoren, der sich aktiv Caesar entgegenstellt. Dieser Senat erhält außerdem vom Dichter die Rolle einer der Haupt,figuren' des Epos zugewisen, indem er die Handlungstektonik aufgrund seiner Führungsposition innerhalb der republikanischen Kriegspartei entscheidend beeinflussen kann. Darin aber, dass sie in der Auseinandersetzung mit Caesar stets die Unterlegenen sind, gleichen sich alle patres, wobei Lucan sie im Vergleich zu den überlieferten historischen Quellen als noch schwächer zeichnet. Damit liegt im Bellum civile ein entscheidendes Moment für den Untergang der Republik und Caesars Usurpation der Macht beim Senat selbst.


103-119  W. Burkert:
Griechische Weltkultur: Logos-Welt inmitten der Sprachenvielfalt

Die griechische Kultur entwickelt sich in der Randzone der östlichen Imperien, übernimmt Handwerkskunst, Schrift, Literatur. Die Demokratie steigert die Bedeutung des logos, die Sophistik entwickelt 'Höhere Bildung' als Logos-Kultur. Laut Isokrates ist das Wesen des Griechischen die paideia. Theater, Rhetorik und Philosophie sind fortan die Elemente einer griechischen Weltkultur, die über Alexanders Eroberungen hinaus sich durchsetzt, auch bis Karthago und Rom. Später bleibt die Osthälfte des römischen Imperiums griechisch; die griechische Bildungswelt ignoriert Fremdsprachen. Eine neue Situation schafft das Christentum: Im griechischen Raum wird die Bibel in die Volkssprachen übersetzt, während der 'lateinische' Westen schließlich die Lateinschule schafft und damit Fremdsprachen-Lernen zu einem Hauptinhalt der Bildung erhebt.


121-134  J. Rüpke:
Der Gott und seine Statue (Prop. 4,2): Kollektive und individuelle Repräsentationsstrategien antiker Religionen

Dass neben Menschen eine Klasse unsterblicher, mächtiger, beobachtender und gegebenenfalls auch eingreifender Akteure existiert, gehörte zu den Grundelementen der Weltbilder antiker Gesellschaften. Aber wie wurde diese Annahme plausibel gemacht, wie konnten diese "Götter" mit Hilfe von Statuen und Kulten so repräsentiert werden, dass man mit ihnen in Kontakt treten konnte? Dieser Aufsatz will die scheinbare Selbstverständlichkeit dieser verbreiteten religiösen Formen gegen den Strich bürsten: Wie schaffen es diese Repräsentationsstrategien, ihr Gewgenüber selbst zu erschaffen und zugleich diesen Konstruktionscharakter zu verdecken, d.h. die Konstruktionen als Re-Präsentationen zu behandeln? Aus der Perspektive der antiken Akteure ist zu fragen, wie die Götter zu "kontrollieren" sind und wie man sich ihnen nähern kann. Zugleich ist auch die Frage zu stellen, wie die Andersartigkeit, die Fremdheit dieser Götter verdeutlicht werden kann. Der Beitrag will bekannte literarische, archäologische und rituelle Befunde antiker Religionen in eine umfassendere religionswissenschaftliche Perspektive rücken und dadurch Anregungen zu einem neuen und entdeckerischen Umgang mit einer allzu vertrauten Eigenheit antiker Kulturen geben.


135-168  B. Dreyer, B. Smarczyk:
Res publica ut aliena: Zur Funktion der republikanischen Verfassungsexkurse bei Tacitus

Die Exkurse des Tacitus über die Republik hat man in der Forschung häufig vernachlässigt, da sie als inhaltlich atomisiert, verzerrt oder doch einseitig gelten oder auf gängige Interpretationsmuster ("popular" oder "optimatisch") zurückgeführt werden. Die Autoren versuchen die relevanten Aspekte und Inhalte der republikanischen Exkurse, ihren Erzählkontext und die Zeit des Autors gegeneinander abwägend zu berücksichtigen. Die staatsrechtlichen Exkurse haben der notwendigen Information über den ursprünglichen Bedeutungsgehalt der republikanischen Ämter der senatorischen Laufbahn gedient. Auch sollten sie den Schein staatsrechtlich-politischer Kontinuität und die Grundlagen für die Macht der Principes offen darlegen. Die Etablierung ihrer Herrschaft hatte die römische Weltherrschaft dauerhaft gesichert. Die ursprünglich ebenfalls gegebene Rechtssicherheit wich jedoch periodisch einem Terrorsystem, das sich vor allem gegen die Nobilität richtete, die sich freilich von Beginn an vorauseilend dem Prinzipat unterworfen hatte. Eine Rückkehr zur Republik und zur alten Rolle der Nobilität stellte für Tacitus gleichwohl keine Lösung dar, da sein Urteil über diese Epoche wie über diejenige des Prinzipats durchgehend ambivalent ausfiel. Die Rückblicke auf die Republik dienten der Bewältigung einer immer noch nicht aufgearbeiteten Periode der Geschichte Roms, aus der sich der Prinzipat entwickelt hatte.


203-236  César Fornis:
"Konon, der die athenische Seemacht wiederherstellte"

Zwischen 394 und 391 v. Chr., während des Korinthischen Krieges, war der Athener Konon von Anaphlystos mit dem wichtigen Kommando über die persische Flotte in der Ägäis betraut worden. Seine Position gestattete es ihm, die athenische Außenpolitik dieser Jahre zu bestimmen, ohne sich dem Großkönig gegenüber illoyal zu verhalten. In diesem Beitrag soll untersucht werden, ob es Konon war (wie eines der erhaltenen Fragmente des Kratippos bezeugt), der zum ersten Mal nach der Niederlage im Peloponnesischen Krieg für Athen das Programm einer Politik entwickelt hat, die auf die Erneuerung der Großmachtstellung abzielte, oder ob er aufgrund seiner freundschaftlichen Beziehungen zum Großkönig kompromittiert war und es daher nötig erscheint, den Beginn einer imperialen Politik mit der Flottenexpedition des Thrasybulos von Steiria zum Hellespont (ca. 390) in Verbindung zu bringen.


237-256  Helmut Seng:
Tityre, te cecini. Politische Aspekte des Rückbezugs auf die Eklogen in Vergils Georgica

Durch zahlreiche Bezüge bindet Vergil die Georgica an das Eklogenbuch zurück; dies wird als Auseinandersetzung mit dem differenzierten politischen Gehalt der Bucolica gedeutet. Neben kompositorischen Schlüsselstellen kommt dabei vor allem dem Motiv der Saturnia regna zentrale Bedeutung zu, das in den Georgica eine neue Gestaltung erfährt, als Vorstellung einer durch rechtschaffene Arbeit erworbenen Fülle gegenüber der phantastischen Übersteigerung von ecl. IV. So setzt sich Vergil mit seiner poetisch-politischen Vergangenheit auseinander und erreicht eine Form der Synthese, die an ecl. IV nach der durch den Perusinischen Krieg verursachten Distanzierung in ecl. VI-X zwar wieder anknüpft, den Erfahrungen eines weiteren Jahrzehnts der Bürgerkriege aber durch Betonung des politisch-moralischen Anspruchs Rechnung trägt.


257-273  Robert Rollinger:
Die Philotas-Affäre, Alexander III. und die Bedeutung der Dexiosis im Werk des Q. Curtius Rufus

Der Aufsatz beschäftigt sich mit dem rechtssymbolischen Akt der Dexiosis im Werk des Q. Curtius Rufus. Dabei wird sowohl die literarische als auch die historische Ebene ausgeleuchtet. Einerseits lässt sich zeigen, dass Curtius als einziger Alexanderhistoriker die Dexiosis und die damit verbundenen rechtlichen und moralischen Implikationen als bewusstes Mittel einsetzt, um die sukzessiv erfolgende "Orientalisierung" Alexanders in Verbindung mit dessen fortschreitendem Vordringen nach Osten zu veranschaulichen. Andererseits ist nicht ausgeschlossen, dass sich Alexander in der Nachfolge der achaimenidischen Könige tatsächlich dieses rechtssymbolischen Aktes bediente und dies die Basis für die Literarisierung des Stoffes durch Curtius bildete.


275-283  Allan A. Lund:
Zur Deutung der Taciteischen Darstellung des Orts der Varus-Schlacht


307-330  H.-G. Nesselrath:
Fremde Kulturen in griechischen Augen - Herodot und die 'Barbaren'


331-357  I. Männlein-Robert:
Griechische Philosophen in Indien? Reisewege zur Weisheit


359-380  S. Lorenz:
Der "ernste" Martial: Tod und Trauer in den Epigrammen

Martial ist vor allem als Verfasser spöttischer und erotischer Epigramme bekannt, und als solcher stellt er sich in seinen poetologischen Texten auch selbst dar. Aber Martial hat auch ernst anmutende Gedichte geschrieben - unter anderem spricht er von seiner Trauer um verstorbene Zeitgenossen. In der Gesamtheit der Epigrammaton libri bleiben solche "ernsten" Epigramme jedoch Außenseiter, die zudem teilweise die Funktion haben, einen Kontrast zum humorvollen Rahmen zu schaffen und somit die Rezipienten durch Widersprüche und Überraschungen noch besser zu unterhalten. Martial schreckt nicht einmal davor zurück, Gedichte, in denen auf anrührende Weise der Tod von Kindern beklagt wird (5.37. 11.91), für sein literarisches Konzept zu instrumentalisieren. Sein Werk ist weitaus weniger mitfühlend, als häufig angenommen wurde. Es ist provokant und anstößig.


413-458  W. Suerbaum:
Die Sichtbarkeit des Autors in seinem Werk: Vergil in Buchillustrationen zur Aeneis


459-467  B. Hogenmüller:
Epikureisches in Juvenals dritter Satire (sat. 3,226-231)

Juvenal gilt als der am wenigsten philosophische Schriftsteller des 1. Jh. nach Christus. Analysen einiger Satiren jedoch konnten zeigen, dass er sehr wohl mit philosophischer Lehre vertraut war. Gilbert Highet wies erstmals explizit 1949 in seinem Aufsatz „The Philosophy of Juvenal" nach, dass der Satiriker insbesondere Epikur und dessen Lehren in den späten Satiren zugetan war. Dem Nachweis, dass sich dieses Phänomen durchaus in einer frühen Satire finden lässt, ist diese kurze Studie gewidmet.


469-474  Th. Blank:
Homers Heimat ist die Dichtung. Essay anstatt einer Rezension zu Raoul Schrott: Homers Heimat, München (Hanser) 2008


519-546  M. Dreher:
Die Westgriechen: andere Griechen?

Auf der Grundlage einer Definition des Begriffs der "Westgriechen" ("Western Greeks") (I) wird danach gefragt, ob diesem Teil der griechischen Welt eine eigene Identität zukommt. Dazu werden zunächst das Selbstverständnis der Westgriechen und die möglichen Ansätze zur Identitätsbildung (II), dann die antiken Perspektiven auf die Westgriechen (III) untersucht. Bei der historischen Beurteilung aus heutiger Sicht schließlich (IV) werden die ethnische Zusammensetzung, die politischen Gegebenheiten, das Recht, die Religion, die materielle Kultur sowie das Verhältnis zu den Nichtgriechen als Kriterien einer möglichen Identität herangezogen. Als Schlußfolgerung (V) wird konstatiert, dass die Geschichte der Westgriechen insgesamt parallel zu jener der übrigen Griechen verlief und dass die Westgriechen integraler Bestandteil der griechischen Welt gewesen sind. Einige Besonderheiten jedoch sind vor allem auf die grundlegend andere siedlungsgeographische Situation zurückzuführen. Sie bilden wesentliche Ergänzungen für die Geschichte der griechischen Welt und sollten daher so weit wie möglich in einschlägige Gesamtdarstellungen integriert werden.


547-572  S. Rütz:
Der tragische Konflikt des Neoptolemos in Sophokles' Philoktet

Das Dilemma des Neoptolemos ist in der Forschung häufig thematisiert worden. Eine genaue Analyse jener Faktoren, die moralischen Druck auf die Figur ausüben, hat jedoch bisher gefehlt. Die folgende Interpretation setzt vor allem am Prolog (1-134) und am zweiten Epeisodion (730-826) an, die beide als Schlüsselszenen der tragischen Entwicklung gedeutet werden. Das Resultat ist ein Katalog von Faktoren, der - wenn man den Ausgang des Stücks bedenkt - die kritische Bedeutung der Emotionalität bei der tragischen Konfliktlösung in diesem Drama unmittelbar einsichtig macht.


573-598  A. Willi:
Opfer des Lateinischen: Zum Sprachtod in Altitalien

Anhand dreier Fallbeispiele, die das Faliskische, das Umbrische und das Oskische ins Zentrum stellen, werden in diesem Beitrag inhaltliche und methodische Fragen erörtert, die sich bei der Beschreibung antiken Sprachtods erheben. Insbesondere geht es darum, wie eine (antike oder moderne) 'Sprache' zu definieren ist, um die Probleme bei der Bestimmung eines sprachlichen Todesdatums für nur epigraphisch bezeugte Varietäten sowie um die Evaluation der Faktoren, die beim Untergang einer Sprache zusammenspielen können.